Glaube/Zweifel, 2007

von Antje Schunke

Heimat braucht Zeit. Das Werk von Via Lewandowsky ist verwirrend realistisch, greifbar, jedoch nicht im ersten Moment begreifbar, aber dann eruptiv erkenntnisreich. Das liegt zum einen an seiner wörtlich zu nehmenden Bildsprache als auch an seiner bildgewordenen Sprachgewalt. Begriffe in eine andere Dimension zu übersetzen, sind wie er es selbst formuliert reizvolle Ziele, ihre ironischen Brechungen, sinnliche Bewusstseinsprozesse. Der 1963 in Dresden geborene Künstler spielt mit gängigen Vorstellungen. Die inszenierte Verwirrung des Betrachters ist charakteristisch für die Handschrift des Künstlers.

Was von Ferne wie ein Kartenhaus aussieht, entpuppt sich näher betrachtet als ein aus festem Baustoff gefertigtes Gebäude. In seiner Installation GLAUBE/ZWEIFEL setzt Lewandowsky mit Fenstern versehene Ausstellungswände bis zu einer schwindelerregenden Höhe von 9 Metern zusammen und übereinander. Das dreistöckige Konstrukt, speziell für die Ausstellung NEUE HEIMAT in der Berlinschen Galerie geschaffen, birgt einen auf den ersten Blick leicht zu identifizierenden Widerspruch in sich. Die Redewendung „wie ein Kartenhaus zusammenfallen” steht für Zerbrechlichkeit. In Verbindung mit Heimat gesehen, werden Assoziationen vom unsicheren ‚Zuhause’ geweckt, eben das Verlieren von Heimat in Zeiten von Ab-, Aus- und Einwanderung. Unbeständigkeit, Nomadentum und das Gefühl vom Übrigbleiben der Zurückgelassenen klingen als folgenreiche Phänomene an Kartenhäuser werden normalerweise aus Spielkarten oder ähnlich instabilem Material gebaut. Stellt man diese nicht genau aneinander oder hantiert zu unruhig, fällt die Konstruktion in sich zusammen. In kleinen Dimensionen ist das nicht weiter dramatisch. Jedoch der Einsturz des Lewandowskyschen Kartenhauses hätte gravierende Folgen. Dieses Heim birgt Unsicherheiten – „Betreten des Zuhauses verboten, Einsturzgefahr!”. Die eigentlich Schutz bietende Herberge löst Angst aus, sie stellt eine Bedrohung dar. So lehnt sich im Titel GLAUBE/ZWEIFEL das Wort ‚Glaube’ an einen Schrägstrich, der am ‚Zweifel’ seinen Halt sucht – in Anbetracht der namenstragenden Installation wohl ein vergebliches Unterfangen. Schutzmechanismen wie „my home is my castle” funktionieren nicht mehr und deshalb lösen Gedanken an das liebliche „home sweet home” vielmehr Sehnsucht nach Sicherheit und Geborgenheit aus – Heimweh als Phantomschmerz. „Wir verlieren Räume”, kommentiert der Künstler, der sich bereits seit zehn Jahren mit dem Thema des Deplatzierens in verschiedenen Formen auseinandersetzt. Der Boden auf dem wir gedeihen, wird einem unter den Füssen weggezogen, wie es Lewandowsky

in seiner Arbeit HORS SOL? von 2002 in Murten/Morat in der Schweiz verdeutlicht. Zwei in der Luft schwebende Wohnräume ohne Böden machen auf den Verlust von Heimat aufmerksam. Ein schmerzhafter Akt, der sich auch in GLAUBE/ZWEIFEL wieder findet. Denn die Hinfälligkeit der Heimat scheint vorbestimmt.

Das Zusammenstürzen der eigenen, in diesem Fall zweier Wände, liegt in der Natur eines Kartenhauses. Der vorhersehbare Moment der Katastrophe, diese erschütternde Gewissheit der Hinfälligkeit hat etwas Dramatisches. So wie die Dichter der Sturm-und-Drang-Zeit des 18. Jahrhunderts im Kartenhaus eine Metapher für die Hinfälligkeit der alten, der Aufklärung verpflichteten Werte sahen, so könnte man das Kartenhaus von Lewandowsky als zeitgenössische Befragung verstehen. Welchen gesellschaftlichen Prioritäten sehen wir uns heute gegenübergestellt? Ist das, was wir zugunsten von verinnerlichten, gemeinschaftlichen Idealen tun, es wirklich wert? Ist es uns wichtig, auf Dinge, die uns lieb und teuer sind, zu verzichten, sie uns somit vorzuenthalten, Dinge, die wir dann vermissen, brauchen? Auf der Suche nach Arbeit, Sicherheit, einer Perspektive obliegen wir einer neuen Völkerwanderung. Man spricht von Arbeitsmigration. Wo positioniert sich in derartigen Prozessen die Heimat? Das fragile Kartenhaus von Lewandowsky könnte als ein Ausdruck des modernen Nomadentums verstanden werden. Zelte werden abgebrochen, man zieht weiter. Zurück bleiben Ruinen – wieder einmal auf Sand gebaut.