BZZZZZZZZZZZZ. Zum Einsatz des Klangs im Werk von Via Lewandowsky

von Sven Beckstette

Via Lewandowsky empfindet offensichtlich eine Hassliebe gegenüber Fliegen. Dass er sprichwörtlich keiner von ihnen etwas zu leide tun könne, wird der Künstler sicher nicht von sich behaupten, im Gegenteil: Fünf Zweiflügler köpfte er und stellte ihre zerstückelten Leiber mittels eines Vergrößerungsglases öffentlich zur Schau („Fliegen ohne Kopf“, 1997). Mit weiteren toten, aber immerhin unversehrten Exemplaren malte er sich den Alltag und die Fantasien der Insekten aus („Welt der Fliegen“, 1998). Vielleicht aus schlechtem Gewissen vor derartig kaltblütigen Inszenierungen erwies er schließlich stellvertretend einem Opfer der Gattung, das zufällig in Reichweite seiner Klatsche gekommen war, die letzte Ehre und errichtete ihm ein patriotisches Mahnmal („An der Heimatfront gefallen“, 2000).

Auch die Rauminstallationen von Via Lewandowsky werden gelegentlich von Stubenfliegen bevölkert, so etwa die 2001 geschaffene Situation „Schiefer Laufen“. In einer neutral-weißen Galerie sorgten das künstlich erzeugte Gefälle des Bodens und eine gekippte Museumsbank für ein Gefühl der Unsicherheit und Instabilität. Außerdem hatte sich eine Fliege hierher verirrt, die verzweifelt nach einem Weg ins Freie suchte. Ihr enervierendes Brummen erfüllte die Ausstellung, so dass von einer stillen Kontemplation vor den beiden Bildern an den Wänden nicht die Rede sein konnte.

In der Folge schien das Insekt Gefallen an den aseptischen Zellen der Kunst gefunden zu haben. Sein Surren war 2005 während der Ausstellung „Homezone“ in der Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst und noch im selben Jahr in der Lobby des Hotels zu vernehmen, das Lewandowksy für die Tiroler Landesausstellung zusammen mit dem Zürcher Architekturbüro e2a konzipiert hatte. Ziellos zog die Fliege ihre Kreise über die Köpfe der Besucher hinweg. Die Verursacherin des störenden Lärms ließ sich jedoch nicht ausmachen, was diesmal allerdings nicht ihrer Winzigkeit geschuldet war. Tatsächlich war sie nur akustisch präsent. Ein Audiobeamer strahlte eine Tonaufnahme ihrer Flügelbewegungen in den Raum und imitierte so ihre Flugbahn mimetisch perfekt. Diese technische Reproduktion allein reichte aus, um den Eindruck zu erwecken, die Fliege sei in ihrer ganzen Penetranz physisch anwesend.

Das Geräusch der Fliege lenkt den Blick auf einen Aspekt in Lewandowskys Schaffen, der bislang wenig beachtet worden ist, obwohl er von Beginn seiner künstlerischen Laufbahn an eine wichtige Rolle in seinem Werk spielt: der Einsatz von Klang. Schon in den Performances der Autoperforationsartisten, zu denen neben Lewandoswky drei weitere Bühnenbildstudenten aus Dresden gehörten und die mit an die Grenzen des Ekels vorstoßenden Aufführungen ihre Ablehnung der bestehenden Verhältnisse in der DDR zum Ausdruck brachten, wurden die Zuschauer nicht nur mit starken visuellen, sondern mit ebenso heftigen akustischen Reizen konfrontiert.1 Das Bewusstsein für die Wirkung unterschiedlicher Schallereignisse lässt sich auf Lewandowskys Erfahrungen aus dieser Zeit zurückführen. Wie Theresa Georgen kürzlich betont hat, liegen die Wurzeln dessen, was heute als Soundinstallation2 bezeichnet wird, in der aktionistischen Kunst der 1970er Jahre, die vielfach vom menschlichen Körper und seinen Lauten ausgegangen ist.3 So gesehen, ist Lewandowskys Weg von der Performance hin zur Klanginstallation kunstgeschichtlich durchaus folgerichtig.

Für seine Installationen und Objekte benutzt Lewandowsky weder Musik noch abstrakte Tonfolgen als dekorative Folie. Wie das Beispiel der Fliege gezeigt hat, arbeitet er primär mit konkreten, identifizierbaren Geräuschen aus Umwelt und Alltag. Wenn in seinen Arbeiten tatsächlich einmal eine Melodie auftaucht, wie der Kindergesang in der Videoinstallation „Komm stirb mit mir“ (1998), stehen für Lewandowsky die atmosphärischen Qualitäten der Tonspur im Vordergrund, in der der religiöse Wahnwitz des Gruppenselbstmords einer Sekte unterschwellig widerhallt. Zirpende Grillen, das Rauschen des Windes, tosende Wellen und ein Vogelkonzert erschaffen eine Idylle, die sich angesichts der so betörend wie dissonant vorgetragenen Todesbotschaft jedoch als trügerisch erweist. Lewandowskys außergewöhnliche Sensibilität gegenüber der lautlichen Dimension seiner Arbeiten zeigt sich vielleicht am deutlichsten an einem eher ungewöhnlichen Beispiel. Selbst eine ansonsten „stumme“ Fotografien verwandelt er in „Klangarbeiten“, wenn er Bildfragmente von den Zerstörungen des Ersten Weltkriegs mit den Titeln „kawumm“ (1997) und „dröhnen“ (1998) versieht, onomatopoetische Wörter, die beim Lesen automatisch den entsprechenden Laut im Kopf des Betrachters erzeugen.

Das Geräusch der summenden Fliege dient Lewandowsky in erster Linie dazu, eine Anwesenheit durch Abwesenheit zu suggerieren. Bei diesem metaphorischen Prinzip handelt es sich es sich um ein Leitmotiv, das sich in vielen seiner Werke nachweisen lässt („Last Call“ ,1997 oder „paeninsula“, 2007). Es basiert im wesentlichen auf dem psychologischen Effekt, der sich als die Klangordnung der Dinge bezeichnen ließe: Da wir es gewohnt sind, Gegenstände und Lebewesen mit signifikanten Geräuschen in Verbindung zu bringen, reicht das bloße Hören dieser Laute aus, um sie uns in bildlich zu evozieren. Das Aufkommen elektroakustischer Aufzeichnungsmechanismen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts führte jedoch zu einem grundlegenden Wandel in der Wahrnehmung von Tönen. Erstmalig konnte nun ein Klang von seinem zeitlichen und räumlichen Ursprung isoliert und in jeden gewünschten Kontext integriert werden. Fortan entwickelte die akustische Repräsentation ein reges Eigenleben.

Was passiert, wenn Schall und Quelle vertauscht werden, lässt sich an Lewandowkys Arbeit „Brutkasten“ (2005) beobachten. Bei einer Schwarzwalduhr markiert nicht wie üblich ein Kuckuck den Lauf der Zeit. Wenn sich die Klappe zu jeder vollen Stunde öffnet, erscheint der Trichter eines Megaphons, aus dem der Gebetsruf eines Muezzins lautstark ertönt. Durch den einfachen Eingriff in die Klangidentität des Gegenstands unterwandert Lewandowsky die Erwartungshaltung des Betrachters und lädt das Objekt damit hintersinnig neu auf. Er verbindet ein klischeehaftes Sinnbild deutscher Volkstümlichkeit mit einem Ritus des Islam und ironisiert so die Angst vor einer „kulturellen Überfremdung“, die vor allem von konservativen und rechtspopulistischen Kreisen geschürt wird.

In Via Lewandowskys Werken sind Geräusch und Ding demnach selten deckungsgleich. Vielmehr spielt der Künstler beständig den Gesichtssinn gegen die akustische Wahrnehmung aus. Dadurch hebelt er das auf Homogenität und Geschlossenheit zielende Ordnungsgefüge eines totalen Gesamtkunstwerks in seinen Ansätzen aus und schafft demgegenüber subtile Leerstellen und ironische Brüche, absurde Irritationen und disharmonische Verschiebungen, die sich erst in der Vorstellung des Betrachters zu einem widersprüchlichen Ganzen verbinden.

1 “Der gezielte Einsatz von Lichteffekten, den die Autoperforationsartisten als studierte Bühnenbildner perfekt beherrschten, sowie von Geräuschen und Musik machten die Zuschauerleiber zu Resonanzkörpern der inszenierten Atmosphäre“, Jessica Ullrich: „Spielgefechte des Ichs gegen das Selbst“, Künstlerego und Publikum am Beispiel Via Lewandowskys, in: Micha Brendel, Else Gabriel, Rainer Görss, Via Lewandowky, Ordnung durch Störung, Auto-Perforations-Artistik, Ausstellungskatalog Oktogon, Hochschule für Bildende Künste, Dresden 2006, S. 73f.

2 Vgl. Juliane Rebentisch: Ästhetik der Installation, Frankfurt/Main 2003, S. 207-231.

3 „Neue Erfahrungen des Hörens in Raum und Zeit werden vom Beginn der kurzen Geschichte der Installationskunst an über Ausdrucksweisen des Körpers vermittelt, wie wir sie auch von der Aktions- und Performancekunst her kennen und die zum Teil untrennbar mit der Installationskunst verwoben ist. Unmittelbar vom Körper ausgehende Geräusche und Töne wie das Atmen, das Stöhnen, das Schreien, das Sprechen, das Singen haben unsere Hörerfahrungen seit den siebziger Jahren geprägt“, Theresa Georgen: Bild- und Klanginstallationen, Passagen des Erinnerns und Vergessens, in: Petra Maria Meyer: acoustic turn, München 2008, S. 694.